"Die Würde des Menschen im digitalen Zeitalter" - Zu diesem Thema halte ich am kommenden Mittwoch in meiner Heimatstadt Ansbach einen Vortrag. Er findet statt im Rahmen der Reihe "Die Würde auf dem Prüfstand" des evangelischen Erwachsenenbildungswerks Ansbach. Die Reihe erinnert daran, dass vor 70 Jahren das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft trat.
Im Internet findet sich die Würde des Menschen immer wieder nicht nur auf dem Prüfstand, sondern verletzt. Jüngst hat der Attentäter von ChristChurch nicht nur sein Massaker per Live-Stream auf Facebook geteilt. Er hatte auch zuvor seine Pläne in einem Online-Forum angekündigt. Nutzer des Forums feierten ihn für seinen barbarischen Akt und feuerten ihn während seiner Taten online an.
Die Realität des Lebens wird heute "onlife" gelebt und erlebt. Mit diesem Ausdruck kennzeichnet der Oxforder Philosoph Luciano Floridi unsere Gegenwart. Offensichtlich fordert das "onlife" gelebte Leben die menschliche Würde besonders heraus. Die New Yorker Schriftstellerin Angela Nagle hat in ihrem Buch "Kill all Normies" im Jahr 2017 die Kulturkämpfe der ultrarechten altRight-Bewegung im Internet untersucht. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 29. März sagt sie: "Ich glaube, wir werden in einer Weise manipuliert, die wir noch nicht verstehen. Online kommen unsere ursprünglichsten Triebe zum Vorschein. Als hätten wir uns keinen Deut weiterentwickelt, seit wir öffentlichen Hinrichtungen und Kreuzigungen zujubelten.“
Das Internet ist keineswegs per se ein ziviler Kommunikationsraum, wie das die Pioniere der Online-Kommunikation ursprünglich dachten. Vielmehr ist es von Dynamiken durchzogen, die Zivilisation und Kultur gefährden. „Auf Facebook und Twitter wird gezündelt, was das Zeug hält […] Kommentieren ist zur Freizeitbeschäftigung geworden; zu einem probaten Mittel, um sich die Langeweile zu vertreiben. Hat man sich früher in den Hobbykeller zurückgezogen, um ungesehen zu kleben, falzen und löten, so geht man heute in die sozialen Netzwerke, in den digitalen Hobbykeller, wo man mit einem feigen Grinsen an seinem Erregungsgegenstand so lange hobelt, bis womöglich nichts mehr von ihm übrig ist.“ (Heike Kunert, Beleidigung: Der unerhörte Stellenwert des Ich, www.zeit.de/kultur/2015-07/jana-hensel-beleidigung-oeffentlichkeit).
Weil aber die sozialen Medien so gestrickt sind, dass sie mit ihren Aufmerksamkeitsschleifen die destruktiven Potenziale verstärken, kommt es umso mehr darauf an, die Onlife-Kommunikation zu zivilisieren.
Was Christinnen und Christen dazu beitragen können? Johanna Haberer hat unter dem Titel "Leben in der Anderswelt" im Kreuz-Verlag einen handlichen "spirituellen Ratgeber durch das Netz" verfasst. Darin plädiert sie für die Selbstbehauptung der individuellen, singulären Persönlichkeit - und für die in die Jahre gekommene Vorstellung von der Seele: "Es geht um unsere Seele in diesem Buch … In dieser Seele, da wohnt die Originalität, da wohnt die Widerstandskraft, das Widerständige, da wohnt die Menschenliebe, da wohnt Gott in seinem Eigentum. Vielleicht gelingt es ja, der neuen Technologie eine Seele einzuhauchen, womit Grenzen und ethische Reflexe gemeint wären." Sorge für die Seele, nicht nur für die eigene, sondern auch für die des Internets - vielleicht nicht der schlechteste Beitrag zur Würde des Menschen im digitalen Zeitalter!