Ballungsräume wie München ziehen immer mehr Menschen an. Stadtplanung muss daher einerseits der gestiegenen Nachfrage nach Wohnraum und andererseits den Ansprüchen in Bezug auf nachhaltiges Bauen gerecht werden. Wie Planungs-, Vergabe- und Umsetzungsprozesse optimal ausgerichtet werden können und wie partizipativ sie sich gestalten lassen, diskutierten Expertinnen und Experten am Dienstag, dem 18. Januar, am Beispiel des Geländes der ehemaligen Bayernkaserne in München. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Evangelischen Stadtakademie München und acatech – der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – statt.
In seiner Begrüßung erinnerte acatech Präsident Jan Wörner an die 17 „Sustainable Development Goals“. Diese politischen Zielsetzungen wurden von den Vereinten Nationen (UN) entwickelt – mit ihnen soll die Vision der weltweiten Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene Realität werden. Bezogen auf das Thema „Bauen und Wohnen“ betonte Jan Wörner, dass die Frage der Nachhaltigkeit für jedes einzelne Glied der Kette (Planung, Bau, Betrieb, Umnutzung, Abriss) gestellt werden müsse. Auch Barbara Hepp, Leiterin Evangelische Stadtakademie München, wies auf die Aktualität des Themas für die Stadt München hin. Thomas Zeilinger hatte die Moderation des Abends und leitete zu den Podiumsgästen über und verwies auf das aktuelle Projekt „Heidemannviertel“ – die Bebauung des Gebietes der ehemaligen Bayernkaserne. Bei diesem Projekt werde deutlich, wie präsent das Thema Nachhaltigkeit beim Bauen heute ist und wie groß gleichzeitig das öffentliche Interesse.
Andrea Kustermann von der Hochschule München zeigte in ihrem Impulsvortrag, wie mineralisches Abbruchmaterial im Recyclingbeton wiederverwertet werden kann und welchen Beitrag diese Methode für ein kreislauforientiertes Bauwesen einnehmen kann. Zu Beginn ihres Vortrags ging sie auf das Rohstofflager der Zukunft ein – die Stadt als Rohstoffmine der Zukunft. So fänden sich in Gebäuden, Straßen, Plätzen und auch unterirdisch in Schächten und Leitungen Unmengen verarbeiteter Rohstoffe, die durch selektiven Rückbau und Aufbereitung vor Ort wiederverwertet werden können. Am Beispiel des Münchner Bauvorhabens Heidemannviertel zeigte sie, dass der Bestand für einen effektiven Recyclingprozess im Vorfeld ganz genau analysiert werden muss, um alles, was schadstoffbehaftet ist, möglichst selektiv entfernen zu können. Ziel sei es, sagte Andrea Kustermann, natürliche Ressourcen zu schonen und Baustoffe zirkulär einzusetzen. Erst wenn die Baustoffe in gleicher Qualität wie vor deren Wiederverwendung eingesetzt würden, könne von echtem Recycling gesprochen werden. Ideal sei ein Recycling vor Ort, um Transportwege zu sparen, aber hier müssten noch entsprechende Logistikkonzepte erarbeitet werden.
Über die Herausforderungen und Anforderungen des nachhaltigen Städtebaus referierte Steffen Kercher, Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München. Am Beispiel der ehemaligen Bayernkaserne beschrieb er, was im Vorfeld berücksichtigt werden muss, damit ein nachhaltiger Stadtteil entstehen kann und welche Rahmenbedingungen es hierfür benötigt. Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen in München – Zuwachs der Bevölkerung, Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und Mangel an Bauland – sollte das Gelände der Bayernkaserne mit möglichst vielen Wohnungen bebaut werden. Für die Planer war es wichtig, den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern zu ermöglichen, nicht nur dort zu leben, sondern auch dort zu arbeiten und die Freizeit verbringen zu können. So kam es zu einer Entscheidung gegen Solaranlagen auf den Dächern und für Dachgärten. Eine fundierte Verkehrsplanung mit Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr war den Planern genauso wichtig, wie moderne Mobilitätskonzepte (z.B. Car-Sharing und Lastenräder) abseits vom eigenen Auto. Durch einen stetigen Wandel des Zeitgeistes und der ökologischen und ökonomischen Anforderungen, sei es schwer zu entscheiden, was städtebaulich auf lange Zeit gesehen „richtig“ oder „falsch“ sei, sagte Steffen Kercher.
Mitbegründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Baugenossenschaft „Kooperative Großstadt eG“, Florian Fischer, wies darauf hin, dass zum nachhaltigen Bauen auch der Aspekt der Flächeneffizienz gehört. Derzeit würde der bundesweite durchschnittliche Wohnflächenverbrauch bei ca. 47 qm pro Kopf (im Raum München bei 49 qm pro Kopf) liegen. Wenn dieser reduziert werden könne, müsse man keine neuen Wohnungen bauen, da durch die Reduzierung neuer Raum geschaffen werde. Er sei sich zwar dessen bewusst, dass dies nicht kurzfristig machbar sei, da es einen massiven Eingriff in den Bestand und das Eigentum bedeuten würde, warb aber gleichzeitig für einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise wie unser Wohnen gemeinwohlorientiert und ressourceneffizient organisiert werden könne. Die Baugenossenschaft „Kooperative Großstadt eG“ habe es sich beispielsweise zur Aufgabe gemacht, in den eigenen Neubauten am Hebel der Flächeneffizienz zu arbeiten, indem sie neue Wohnformen erfindet, die flächeneffizient und gleichzeitig großzügig sind. Er führte als Beispiel das „Nukleuswohnen“ an, das es ermöglicht, Nutzungseinheiten, Räume und Wohnungen nach dem persönlichen Bedarf auszudehnen und zusammenzuziehen und damit gemeinschaftliche, alternative Formen des Zusammenlebens bietet.
acatech Präsident Jan Wörner, Professur für Bauingenieurwesen an der TU Darmstadt, warnte davor, die Perspektive zu sehr zu verengen und dadurch den Blick auf das Ganze zu verlieren. Er plädierte dafür, im Bauwesen die Türen für verschiedene Disziplinen (wie zum Beispiel Maschinenbau und Elektrotechnik) zu öffnen und damit alles zusammen zu führen, um gemeinsam erfolgreich dem Klimawandel entgegenzuwirken. So müsse recyclingfähig gebaut werden und es müssten neben Holz auch andere weniger umweltbelastende Stoffe verwendet werden. Beim Bauen seien viele Faktoren zu berücksichtigen – darunter Energie, Ressourcen, Biodiversität, klimaneutrales und soziales Bauen. Jan Wörner sagte, dass er nicht daran glaube, dass diese Ziele über Regeln, Gesetze und Bauordnungen erreicht werden können. Die Menschen müssten es aus eigenem Antrieb wollen, sich verantwortlich fühlen und stolz darauf sein, an der Planung und dem Bau eines nachhaltigen Gebäudes beteiligt zu sein und dieses später einmal zu bewohnen.
In der anschließenden Diskussion wurde eben dieser Aktivierungsprozess für einen umgreifenden und schnellen Wandel im Bau- und insbesondere Wohnungssektor thematisiert. Da die Planungshorizonte und die Tragweite bereits realisierter Stadtentwicklungsprojekte verhältnismäßig lange Zeiträume in Anspruch nehmen, bezweifelten manche Teilnehmer die Möglichkeit, im Bausektor schnell einen ökologisch nachhaltigen Modus zu finden. Das Podium nahm diese Bedenken auf und schlug Lösungsätze vor: Einerseits könnten über technische Innovationen neue Standards definiert werden, welche das Bauwesen insgesamt nachhaltiger werden lassen. Andererseits lag auch eine starke Betonung auf der Notwendigkeit, bestehenden Wohnraum effizient, gemeinschaftlich und ebenso sozial innovativ (Bsp. „Nukleuswohnen“) zu nutzen und somit den ökologischen Fußabdruck in diesem Bereich deutlich zu reduzieren.
Diese von Claudia Strauß und Benjamin Zilker verfasste Meldung zur Veranstaltung ist zuerst auf der Webseite von Acatech erschienen.